Jahrzehntelang profitierten die Konsumenten und Investoren der westlichen Industrienationen von der Globalisierung und in letzter Konsequenz von anhaltend niedrigen Inflationsraten. Die „What-ever-it-takes-Mentalität“ der Notenbanken in Kombination mit der großzügigen Liquiditätsversorgung bei nahezu jeder Kapitalmarktkrise und dem bekannten Instrument einer Einlagegebühr für Bankguthaben veranlasste viele Denkfabriken dazu, die Inflation für tot zu erklären. Sachwertanlagen waren die einzige Möglichkeit, einer schwindenden Kaufkraft bei Nominalwertanlagen entgegenzuwirken. Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine und den Preisexzessen bei Energie- und Agrarprodukten war eine Inflationsdynamik zu verzeichnen, die die meisten Marktteilnehmer nur aus den Geschichtsbüchern kennen. Da die Inflationsbekämpfung (hier insbesondere der EZB) durch die Zentralbanken viel zu spät einsetzte, waren die Zinserhöhungen deutlich hinter der Inflationskurve. Bekanntlich haben die Notenbankaktionen keinen direkten Einfluss auf Energie- und Rohstoffpreise, sodass sich die Marktteilnehmer an einen längeren Verbleib der Inflation gewöhnen sollten. In Ergänzung mit dem Umdenken bei Versorgungs- und Zulieferketten und den Überlegungen innerhalb der G-7-Staaten, auch unabhängiger von der Weltwerkstatt China zu werden, müssen wirtschaftliche Strukturen neu austariert werden. Auch ist zu erkennen, dass in weiten Teilen der Welt nichts mit den Werteansätzen der westlichen Welt anzufangen ist. Deshalb rechnen wir bei diesen Volkswirtschaften mit einer Zunahme der wirtschaftlichen Annäherung an die BRIC-Staaten. Überspitzt gesagt: „alle gegen den Westen“. Auch das führt schlussendlich zu höheren Produktionskosten und somit zu einer Verstetigung der Inflationsraten. Möglicherweise spielt das aber auch den Staatshaushalten in die Karten, da die nominale Staatsverschuldung in diesem Umfeld besser gemanagt und abgetragen werden kann. Wir sehen zumindest eine gewisse Halbherzigkeit in den Aussagen der Politiker und halten das in den meisten Fällen eher für Lippenbekenntnisse.
Nach einem schwierigen Börsenjahr 2022 mit Indexrückgängen auch in den marktbreiten Indizes wie z. B. dem Nasdaq (USA) in der Größenordnung von 33 %, sehen sich die Anleger im neuen Börsenjahr auf den ersten Blick bildlich gesprochen mit einer anspruchsvollen Fahrt auf kurvenreicher Straße konfrontiert.
Steigende Renditen am Anleihemarkt infolge der Zinswende der führenden Zentralbanken waren bereits im alten Jahr ein bestimmender Faktor an den Kapitalmärkten und dies dürfte sich auch in diesem Jahr vorerst nicht ändern. Für 2023 erwarten wir zwar einen Rückgang der Inflationsraten in der westlichen Welt, allerdings weiterhin deutlich über den Zielkorridoren der jeweiligen Notenbank. Eine Prognose für die weitere Entwicklung im Ukraine-Krieg können wir an dieser Stelle nicht abgeben. Ernsthafte und erfolgreiche Friedensbemühungen der Konfliktparteien dürften allerdings zu einem raschen Umdenken unter den Investoren führen. Eine Entspannung der Energieversorgung bei sinkenden Energiepreisen wäre ein brauchbares Umfeld, um die Inflation auf ein investitionsfreundlicheres Niveau zu führen.
Derzeit haben amerikanische zyklische Werte gegenüber den europäischen Konkurrenten deutliche Preisvorteile bei den Energiekosten und deshalb erwarten wir keine scharfe und langanhaltende (eher nur eine technische) Rezession in den USA. In Europa deuten die nominalen Dividendenausschüttungsankündigungen für das Jahr 2022 auf ein neues Rekordniveau hin. Auch beim Blick auf die Forecasts der Unternehmenslenker fällt auf, dass hier eher mit Umsatzzuwächsen als mit Rückgängen geplant wird. Somit sehen wir einen fundamentalen Nährboden für Ertragszuwächse auf der Aktienseite. Bei Rentenanlagen bleiben wir auf der vorsichtigen Seite und im kurzen Laufzeitenbereich. Edelmetalle bleiben eine Beimischung und werden nicht zusätzlich höher gewichtet.